Innung des Kraftfahrzeugtechniker-Handwerks Bremen
Rekordzahlen und Zweifel an E-Mobilität

Marktrealität und Kundenwünsche widersprechen den politischen Zielen – Autojahr 2023 mit positiver Bilanz – Fast zwei Milliarden Euro Gesamtumsatz – Immer mehr Autokäufe – Starke Pkw-Neuzulassungen – Privatmarkt verliert bei Gebrauchtwagen – Service bleibt der Leuchtturm – Ausbildungsbilanz mit Bestnoten – Kritik an der „lähmenden Bürokratie“ – Zuversicht für das aktuelle Autojahr.

Jahrespressekonferenz

Bremen. Immer mehr Kunden beginnen am Hochlauf der Elektromobilität zu zweifeln. Gleichzeitig gewinnt die Diskussion um Technologieoffenheit und das EU-weite Verbrenner-Aus an Fahrt. Turbulente Zeiten im Autojahr 2024 erwartet vor allem der Automobilhandel im Auto-Markt an der Weser, nachdem das vergangene Autojahr unerwartet hohe Umsätze und Verkaufszahlen generiert hatte. Fast zwei Milliarden Euro mit dem Verkauf neuer und gebrauchter Pkw und Lkw sowie dem Service sind ein neuer Höchstwert. Ein Leuchtturm in der Jahresbilanz bleibt das Wartungs- und Reparatur-Geschäft. Die Transformation zur Elektromobilität sei ins Stocken geraten. Zweifel, ob die politische Fokussierung auf die Elektrifizierung der alleinige Weg in eine klimaneutrale Mobilität sei, äußerten vor Journalisten in Bremen Karl-Heinz Bley, Präsident des Kfz-Landesverbandes Niedersachsen-Bremen und Hans Jörg Koßmann, stellvertretender Landesinnungsmeister und Obermeister der Kfz-Innung Bremen. Wörtlich sagte Bley: „Hinter der Elektromobilität wachsen Fragen und Zweifel“.


Die positive Jahresbilanz sei ein Fundament für den wachsenden Katalog der Herausforderungen für das mittelständische Kraftfahrzeuggewerbe. Dies seien unter anderem bezahlbare Mobilität, Transformation im Vertrieb, Fachkräftemangel, die Datenfrage und wachsende bürokratische Belastungen.


Im Jahresvergleich habe der Pkw-Neuwagenmarkt an der Weser Steigerungen von 12,7 Prozent auf 17.661 Pkw Neuzulassungen erreicht. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass der Abbau des Bestellbestandes aus dem Jahr 2022 einen „nicht gerade kleinen Anteil der Plus-Zahlen“ hatte. Fast alle Antriebsformen lägen über dem Vorjahresniveau: Plus 5,6 Prozent für Benziner, 9,5 Prozent für Diesel, 5,7 Prozent für Gas und 15,3 Prozent für vollelektrische Pkw. Einzig Plug-in-Hybride seien im Minus mit 40,8 Prozent. Die Statistik für Bremen und Bremerhaven weise 4.690 Benziner, 3.497 Diesel, 92 Gas-Pkw und 2.835 Stromer und 1.337 Plug-in-Hybride aus.


Die Umsätze von 1,9 Milliarden Euro teilten sich in 792,1 Millionen für Neuwagen, 818 für Gebrauchtwagen, 261,5 für den Service und 103,4 für den Verkauf neuer und gebrauchter Nutzfahrzeuge auf. Der Anteil des Kfz-Gewerbes an diesem Marktumsatz betrage 1,6 Milliarden Euro. Dies seien 78,9 (Vorjahr: 76,7) Prozent. Die Stärke des Fachhandels mit plus 15,7 Prozent im Umsatz habe die Zunahme im Anteil des Kfz-Gewerbes beflügelt.


Der dynamische Gebrauchtwagenmarkt an der Weser habe mit plus 6,1 Prozent 43.850 (Vorjahr: 41.345) Pkw-Besitzumschreibungen bilanziert, davon 31.134 (Vorjahr: 26.461) Verkäufe im Fachhandel. Verlierer des Marktes 2023 sei der Privatmarkt, der noch 12.716 (Vorjahr: 14.884) Verkäufe erreicht habe. 16.225 (Vorjahr: 15.711) Verkäufe habe es im Markenhandel gegeben,14.909 (Vorjahr: 10.750) Verkäufe im reinen Gebrauchtwagenhandel.


Koßmann verwies auf eine Entwicklung im Geschäft mit gebrauchten Pkw. Der Markenhandel, der vor fünf Jahren noch einen Marktanteil von 51 Prozent hatte, sei auf 37 Prozent gerutscht. Der reine Gebrauchtwagenhandel habe dagegen ein „Allzeithoch“ von 34 Prozent erreichen. Ein Grund sei die steigende Anzahl der freien Gebrauchtwagenhändler, denn im Zuge der anhaltenden Vertriebskündigungen der Automobilhersteller blieben gekündigte Autohäuser im Markt mit einem professionellen Gebrauchtwagengeschäft. Dieser Trend werde anhalten.


Höhere Preise für neue Pkw
Bei den durchschnittlichen Preisen habe es gegenläufige Entwicklungen gegeben. Während neue Pkw mit einem um 4,0 Prozent höheren Durchschnittspreis in der Statistik stünden, sei der Durchschnittspreis für gebrauchte Pkw um 2,5 Prozent auf 18.660 Euro gesunken. Grund für die Entspannung an der Preis-Front sei das gestiegene Angebot. Für neue Pkw hingegen habe sich die Preisschraube auf 44.850 (Vorjahr: 43.110) Euro gedreht durch den höheren Anteil der Stromer und das erneue Wachstum für SUV, die auf einen Anteil von 43 Prozent gestiegen seien.

Der Service bleibe trotz Verlusten mit Verschleißreparaturen das „Rückgrat des Kraftfahrzeuggewerbes“. Das Umsatzplus von 17,8 Prozent auf 261,5 (Vorjahr: 222,0) Millionen Euro resultiere aus einem gestiegenen Bestand (plus 0,5 Prozent), aus einem wachsenden Pkw-Alter auf 10,4 Jahre und einer höheren Nutzungsdauer, sagte Koßmann mit Hinweis auf Daten des aktuellen DAT-Reports. Dieser habe per Kundenbefragung ermittelt, dass fast Zweidrittel nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern einfach aus der Zufriedenheit mit dem eigenen Auto derzeit keinen Autokauf geplant hätten.

Es fehlen die bezahlbaren E-Pkw
Aufgrund der skandalösen Streichung der staatlichen Förderung am 18. Dezember 2023 sei die Elektromobilität kein Selbstläufer, sagte Bley mit Hinweis auf Kundenbefragungen. Die Skepsis gegenüber E-Autos bleibe hoch und der Umstieg vom Verbrenner auf E-Pkw sei für „viele noch weit entfernt“. Es fehlten die E-Angebote in den kleinen Segmenten mit Preisen unter 30.000 Euro. Aktuellen Untersuchungen zufolge seien Stromer rund 25 Prozent teurer als Verbrenner. Die Chinesen-Offensive habe den Druck auf die Preise erhöht. Ob dies den E-Markt nachhaltig belebe, müsse abgewartet werden.


Die Hansestadt sei „elektrisch auf einem zielorientierten Weg“. Nach KBA-Daten gebe es in Bremen und Bremerhaven 7.048 (Vorjahr: 5.038) Stromer (BEV) und 5.966 (Vorjahr: 5.581) Plug-in-Hybride (PHEV) im Bestand. Für dieses Volumen stünden 708 (Vorjahr: 519) öffentlich zugängliche Ladepunkte bereit. Die Neuzulassungen seien auf 2.835 (Vorjahr: 2.459) Verkäufe für BEV gestiegen. Plug-in-Hybride seien ohne staatliche Förderung auf Talfahrt: 1.337 Neuzulassungen weise die Jahresbilanz aus. Dies sei ein Minus von 40 Prozent.


Bilanz der Ausbildung
Auf der Habenseite der bremischen Kfz-Bilanz stehe die Ausbildung, sagte Koßmann. In diesen schwierigen Zeiten sei es mit Blick auf die Pisa-Ergebnisse und ein insgesamt marodes Bildungssystem besonders herauszustellen, dass der Kfz-Mechatroniker/-in zweistellig zugelegt habe. 225 (Vorjahr: 198) neue Ausbildungsverträge seien ein Plus von 13,6 Prozent.
Nach einem starken Jahr 2022 habe der kaufmännische Ausbildungsberuf Federn lassen müssen. Habe es 2022 noch eine Steigerung um 7,1 Prozent gegeben, sei die Anzahl der neuen Ausbildungsverträge für Automobilkaufmann/-frau um 6,7 Prozent zurückgegangen. 42 (Vorjahr: 45) neue Verträge stünden in der Ausbildungsbilanz.


Im Kraftfahrzeuggewerbe gebe es noch drei weitere Ausbildungsberufe: Zweirad-Mechatroniker der Fachrichtung Fahrrad und Motorrad sowie den Karosserie- und Fahrzeugbau-Mechatroniker. Für letzteren habe es mit sechs (Vorjahr: 6) neuen Verträgen Stabilität gegeben, während der Zweirad-Mechatroniker Fahrrad 50 Prozent auf 6 (Vorjahr: 12) verloren habe. Für die Fachrichtung Motorrad gebe es an der Weser keinen neuen Ausbildungsvertrag.

Die Kfz-Branche habe neben den gesamtwirtschaftlichen Fragezeichen auch Antworten zu finden auf die Transformation im Automobilvertrieb mit dem sogenannten Agenturmodell und die Frage, wem die Fahrzeug-Daten gehörten. Noch immer kommen nicht alle Werkstätten in den Genuss aller Daten eines Fahrzeugs, sagte Koßmann. Vor allem bei der Frage des freien Zuganges, der heute von den Herstellern erhobenen Fahrzeugdaten, seien die freien Betriebe im Nachteil.


Daten-Frage noch immer ohne Lösung
Diese Daten seien für eine vorausschauende Fahrzeugwartung notwendig, um frühzeitig auf mögliche Fehlerquellen und damit auch eventuelle Gefahren zu reagieren. Es gehe also auch um den Verbraucherschutz. Für Fahrzeugdaten brauche es besondere wettbewerbsrechtliche Regelungen. Koßmann erinnerte daran, dass der Europäische Gerichtshof geurteilt habe, dass herstellerspezifische Einschränkungen beim Zugang zu den On-Board-Diagnosen-Systemen rechtswidrig seien.
Das Kfz-Gewerbe fordere für einen fairen Wettbewerb eine sektorspezifische Gesetzgebung für den Zugang zu Fahrzeugdaten. Monopolistische Kontrollen der Fahrzeugdaten durch Hersteller seien der falsche Weg. Koßmann sagte: „Wir brauchen in diesem Jahr deshalb die juristischen und politischen Rahmenbedingungen in Deutschland und in Europa“.


Die Transformation der Autobranche sei auch eine Transformation des Vertriebs, sagte Bley mit Hinweis auf die Pläne der Hersteller für ein Agentursystem. In diesem Jahr werde sich konkreter zeigen, welche Marken „den neuen Weg gehen und welche das bewährte Vertriebssystem über den stationären Handel beibehalten“ wollten. In der Branche gebe es „höchst differenzierte Erwartungen“ zur echten Agentur, in der der Händler zum Agenten werde und der Hersteller im Neugeschäft auch den Preis festsetze.


Zuversicht für neues Autojahr
Für das Autojahr 2024 zeigte sich Bley zuversichtlicher „als einige Prognosen“. Leicht steigende Pkw-Neuzulassungen, ein lebhafter Gebrauchtwagenmarkt und ein weiterhin dynamischer Service sollten 2024 im Automarkt an der Weser trotz der wirtschaftlich nicht einfachen Rahmenbedingungen die Positionen des mittelständischen Kraftfahrzeuggewerbes festigen. Im Besonderen in Zeiten von Unsicherheiten braucht es Zuversicht. Das Kraftfahrzeuggewerbe habe mehrfach Innovationskraft gezeigt und werde auch die neuen Klippen erfolgreich umschiffen. Der Bedarf an individueller Mobilität sei unverändert groß.

Das Geschäftsumfeld sei noch nicht stabil. Der Jahresstart in den ersten beiden Monaten mit minus 3,4 Prozent bei den Neuzulassungen trotz hoher Eigenzulassungen auf 2.596 (Vorjahr: 2.790) Verkäufen, aber einer großen Steigerung von 11,6 Prozent für gebrauchte Pkw auf 8.047 (Vorjahr: 7.210) Halterwechsel zeige den Trend zur „preisgünstigeren individuellen Mobilität“, sagte Bley. Erfreulich sei der Anstieg des Auftragseingangs im Februar. Die Branche hoffe auf die Fortsetzung „der guten Zahlen zum Jahressstart“ und prognostizierte „mit der nötigen Portion Zuversicht“ rund 68.000 Autokäufe, davon 18.500 Pkw-Neuzulassungen und 49.500 Pkw-Besitzumschreibungen.